Geiselnahme im Jugendamt Pfaffenhofen

Fünfeinhalb Stunden Angst


Von Andreas Glas

Um 13.45 Uhr tut sich plötzlich etwas in der Pfaffenhofener Altstadt. Die Beamten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) verlassen das Jugendamt, in voller Montur, mit Schutzwesten, Sturmhauben und Maschinenpistolen. Sie verschwinden hinter getönten Autoscheiben, fahren davon. Dann tritt Polizeisprecher Hans-Peter Kammerer auf die Straße und baut sich vor den Reportern auf. Er habe “eine gute Nachricht”, sagt Kammerer, “die Geisel konnte befreit werden”. Es ist vorbei. Nach fünfeinhalb Stunden.

So lange dauerte das Drama, das sich am Montag unter dem Dachgiebel eines Altbaus abspielte, in einem Büro des Jugendamts, im dritten Stock, hinter heruntergelassenen Rollladen. Am frühen Morgen, gegen 8.15 Uhr, hatte ein 28-jähriger Mann aus Ingolstadt eine 31-jährige Sachbearbeiterin des Jugendamts mit einem Messer bedroht und als Geisel genommen. Am frühen Nachmittag schließlich konnten die SEK-Beamten den Mann überwältigen und festnehmen. Die Mitarbeiterin des Jugendamts überstand das stundenlange Martyrium mit leichten Verletzungen. Der Geiselnehmer wurde ebenfalls leicht verletzt.

Was bereits am Vormittag als Gerücht kursierte, bestätigte die Polizei am späten Nachmittag im Rahmen einer Pressekonferenz: Der Geiselnehmer war ein junger Vater, das Jugendamt hatte ihm und der Mutter seiner einjährigen Tochter durch einen Gerichtsbeschluss das Sorgerecht entziehen lassen. Nach Aussage der Polizei habe der psychisch labile Täter die Entscheidung nicht akzeptieren wollen. Der Mann ist bereits mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten.

Am frühen Morgen hatte der Mann an der Pforte des Jugendamts geklingelt und offenbar spontan nach einem Termin bei der 31-jährigen Sachbearbeiterin gebeten. Nachdem die Frau diesem Wunsch nachgegeben hatte, sei es schließlich “zu einer Bedrohungslage” gekommen, so ein Polizeisprecher. Als die Frau daraufhin einen Fluchtversuch unternahm, kam es offenbar zu einer Auseinandersetzung mit dem Täter. Dabei zog sie sich leichte Schnittverletzungen zu. Eine Kollegin der 31-Jährigen wurde auf deren Hilferufe aufmerksam und rief die Polizei.

Nachdem die Polizei den Notruf erhalten hatte, ließ sie das Pfaffenhofener Jugendamt räumen, sperrte die umliegenden Straßen und forderte Unterstützung an. Insgesamt waren mehr als 330 Polizeibeamte an dem Einsatz beteiligt. Der Geiselnehmer ließ den Rollladen im Dachgeschoss des dreistöckigen Hauses herunter, sodass die Polizei keinen Sichtkontakt zu Täter und Opfer aufnehmen konnte. Nach einer Weile aber gelang es der sogenannten Verhandlungsgruppe der Polizei, telefonisch Kontakt zum Geiselnehmer aufzunehmen. Er forderte, seine Tochter wieder in die Obhut der leiblichen Mutter zu geben. Außerdem verlangte er eine scharfe Schusswaffe und einen Arzt für die verletzte Sachbearbeiterin des Jugendamtes.

Zwar schickte die Polizei auch einen Arzt in das Büro der Frau, doch war die Gefahr für die Geisel nach Polizeiangaben zu groß, um den Geiselnehmer bei dieser Gelegenheit zu überwältigen. Während der Gespräche mit der Polizei sei der Mann allerdings “nie in einer emotionalen Lage” gewesen, “in der nach unserem Ermessen Lebensgefahr für die Geisel bestand”, sagte Herbert Wenzel, Vizepräsident des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord. Die speziell für Geiselnahmen geschulten Beamten versuchten deshalb, deeskalierend auf den Geiselnehmer einzuwirken.

Im Laufe des Nachmittags sei es der 31-Jährigen dann “zusehendes schlechter” gegangen, sagte Polizeisprecher Kammerer. “Die Situation, stundenlang mit dem Täter eingesperrt zu sein, hat ihr sehr zugesetzt.” Als die Frau dann erneut nach einem Arzt verlangte, erkannten die SEK-Beamten ihre Chance auf einen Zugriff. “Gegen 13.41 Uhr wurde ärztliche Hilfe an die Geisel herangebracht und zu einem günstigen Zeitpunkt erfolgte der Zugriff”, sagte Polizeivizepräsident Wenzel. Mit einer Elektroschockpistole, einem sogenannten Taser, gelang es den SEK-Beamten, den Täter zu überwältigen. Nach ihrer Befreiung wurde die Mitarbeiterin des Jugendamtes in ein Krankenhaus gebracht. Der Geiselnehmer wurde festgenommen und soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft am Dienstag dem Haftrichter vorgeführt werden.

Nach der Geiselnahme hat Innenminister Joachim Herrmann (CSU) angekündigt, die Sicherheitskonzepte für Behörden erneut auf den Prüfstand zu stellen. “Wir werden natürlich auch nach diesem Vorfall noch mal überprüfen, welche zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen gegebenenfalls noch zu treffen sind”, sagte er am Montag in Nürnberg der Deutschen Presseagentur. Er sagte aber auch, dass die Verwaltungen bürgernah bleiben sollten: “Wir können nicht hinter jedem Bürger einen potenziellen Täter sehen.”

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