Die Amtsstube wird zur Gefahrenzone

In Deutschland häufen sich die Angriffe auf Behördenmitarbeiter.


Von Karsten Kammholz, Manuel Bewarder

In Deutschland häufen sich die Angriffe auf Behördenmitarbeiter. Der Beamtenbund schlägt Alarm – und fordert Maßnahmen: von Metalldetektoren an Türen bis zu Alarmknöpfen unter dem Schreibtisch.

Wolfgang B. hatte keine Chance zu entkommen. Als der Steueroberamtsrat am Morgen des 1. September sein Büro im Rendsburger Finanzamt betrat, wartete schon sein Mörder auf ihn. Zeugen berichteten später von einer kurzen, lautstarken Auseinandersetzung. Danach zwei Schüsse. Der Täter, ein Steuerberater, wurde noch vor Ort festgenommen, Wolfgang B. erlag seinen Verletzungen im Krankenhaus. Es war ein Streit über Steuerschulden, ein Fall, wie ihn Steuerbeamte täglich erleben. Ein Fall, der in Rendsburg im Unfassbaren endete.

Immer wieder kommt es zu tödlichen Übergriffen auf Behördenmitarbeiter. Allein 2013: Die Sachbearbeiterin einer Führerscheinstelle im Kreis Schleswig-Flensburg wurde erstochen, weil sie einem Lkw-Fahrer die Fahrerlaubnis verweigerte. Ein verwirrter Rentner erschoss den Landrat des Kreises Hameln-Pyrmont in Niedersachsen in dessen Amtszimmer. Im Jahr davor erschoss in Karlsruhe ein Arbeitsloser aus Wut über die Zwangsräumung seiner Wohnung vier Menschen und sich selbst. Eines der Opfer war der zuständige Gerichtsvollzieher. Die Liste der brutalen Angriffe auf Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes ließe sich weiter fortsetzen, auch wenn viele Taten glimpflicher ausgingen.

Über Gewalt in deutschen Behörden wird zumeist erst berichtet, wenn Blut geflossen ist. Dabei sind Angriffe, verbal wie physisch, längst zu einem Alltagsphänomen in deutschen Amtsstuben geworden. Mehrere Studien und Umfragen haben sich des Themas angenommen. Sie kommen zu einem klaren Befund: Der Respekt gegenüber Autoritätspersonen geht schleichend zurück – zugleich steigt die Aggressivität, mit der Beamte im Alltag konfrontiert sind.

Kein regionales Problem, kein Großstadtproblem

Auch der Deutsche Beamtenbund (dbb) schlägt nach einer Umfrage in seinen Landesverbänden und Partnergewerkschaften Alarm. Man habe eine „eindeutige Rückmeldung“ bekommen, sagt der dbb-Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt: „Die Gewalt gegen Bedienstete des öffentlichen Dienstes nimmt drastisch zu.“ Es handle sich dabei nicht um ein Großstadtphänomen, sondern um eines, das keine regionalen Grenzen kenne. Auch in Verwaltungsbereichen, in denen es um Hartz IV oder andere Zweige der Sozialversicherung gehe, erlebe man ein „Ausufern der Gewalt.“ Dauderstädt berichtet sogar von Angriffen auf Mitarbeiter von Kfz-Zulassungsstellen, besonders dann, wenn nicht die gewünschten Kennzeichen verfügbar sind. Er hält die Entwicklung für äußerst besorgniserregend. „Da ist eine Mentalität entstanden, die hohes Anspruchsdenken und Aggressivität bei Verweigerungen in sich trägt.“

Die Erhebung zeigt auch, dass die Gewaltbereitschaft quer durch die Milieus gestiegen ist. „Es handelt sich um eine Verrohung der Sitten. Der Umgangston in diesem Land hat sich verändert“, beklagt der dbb-Chef. Der Staat werde als Institution, der man Respekt entgegenbringt, nicht mehr wahrgenommen. „Der Staat entwickelt sich für immer mehr Gesellschaftsschichten zum Gegner.“

Gewalt gegen Mitarbeiter von Behörden taucht in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht gesondert auf. Solche Fälle sind dort in unterschiedliche Deliktsgruppen wie „gefährliche und schwere Körperverletzung“, „Nötigung“ oder „Sachbeschädigung“ aufgeführt. Aber auch ohne ein bundesweites, von staatlicher Seite vorgelegtes Lagebild ist das Problem erkannt. Die Hochschule Darmstadt etwa führte 2012 eine bundesweite „Untersuchung zur Aggressivität und Gewalt in der Kundenbeziehung“ durch, an der mehr als 30 Behörden teilnahmen.

“Der rote Notfallknopf am Schreibtisch, wie man ihn aus Banken und von Juwelieren kennt, sollte vielleicht bald zur Ausstattung von Behördenmitarbeitern gehören”
Klaus Dauderstädt, Deutscher Beamtenbund

Nahezu 100 Prozent der Befragten berichteten von verbalen Konflikten, 66 Prozent von Beleidigungen, 51 Prozent von Drohungen, 14 Prozent von Sachbeschädigungen, 13 Prozent von körperlicher Gewalt und 2 Prozent von Waffengewalt. In einer weiteren aktuellen Untersuchung, die das Institut für Polizei- und Kriminalwissenschaft der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen vorgenommen hat, ist von einer durch das Personal „fast schon als alltäglich empfundenen Beleidigungskultur“ die Rede.

Der Beamtenbund fordert einen ganzen Katalog an Maßnahmen. „Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, deren Aufgabengebiete Konfliktpotenzial haben, sollten Deeskalationsschulungen erhalten“, sagt Dauderstädt. „Wir müssen in öffentlichen Gebäuden Umbaumaßnahmen erwägen. Metalldetektoren am Eingang von Gebäuden könnten mancherorts sinnvoll sein. Der rote Notfallknopf am Schreibtisch, wie man ihn aus Banken und von Juwelieren kennt, sollte vielleicht bald zur Ausstattung von Behördenmitarbeitern gehören.“ Der Gewerkschaftschef erwägt auch die Abschaffung von Einzelbüros, damit Mitarbeiter nicht allein in einem Raum mit Besuchern sind. Er appelliert: „Die Politik muss handeln.“

Auf Bundesebene tut sich bislang nichts. Im Koalitionsvertrag hatten sich CDU, CSU und SPD allein darauf verständigt, dass Polizisten und andere Einsatzkräfte „einen stärkeren Schutz bei gewalttätigen Übergriffen“ benötigen. Über die Umsetzung dieser Abmachung gibt es bislang keine Einigung. Angriffe auf Sachbearbeiter hatten die Koalitionäre bei ihren Absprachen vor einem Jahr nicht auf dem Schirm.

In Schleswig-Holstein reagiert die Landesregierung auf die tödlichen Schüsse von Rendsburg. Das Kieler Finanzministerium will die Alarmsysteme in den Finanzämtern überprüfen und sie so schnell wie möglich erweitern. Auch die Anschaffung neuer Systeme wird erwogen. Die zuständige Ministerin Monika Heinold (Grüne) verspricht: „Hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben, aber was wir tun können, werden wir machen.“

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