Mit Panikknopf in den Unterricht: Das Leben in US-Schulen nach dem Amoklauf in Uvalde

Amoklauf an Schulen

In den USA beginnt das neue Schuljahr, aber Eltern wie Kinder haben noch vor Augen, wie das vorausgegangene in Uvalde zu Ende ging – mit einem Blutbad. Umso populärer werden jetzt Alarmsysteme im Klassenzimmer.

Mission. Melissa Lee tröstete ihren Sohn und ihre Tochter, nachdem ein Mitschüler in deren High School in einem Vorort von Kansas City das Feuer eröffnet und zwei Menschen verletzt hatte. Wochen später trauerte die Amerikanerin mit den Eltern im texanischen Uvalde, die ihre Kinder nach dem Massaker im Mai zu Grabe tragen mussten.

Aber Lee fühlte sich beruhigt, als sie erfuhr, dass sich der für die High School ihrer Sprösslinge zuständige Schulbezirk Olathe eines der Alarmsysteme zugelegt hatte, die vor dem Hintergrund der vielen Gewalttaten in US-Schulen zunehmend populär werden. Die Technologie mit tragbaren Panikknöpfen oder Mobiltelefon-Apps ermöglicht es Lehrern, sich gegenseitig und die Polizei zu informieren, wenn eine Notsituation entsteht.

„Es muss schnell gehen“, sagt Lee, deren Sohn half, eine Klassenzimmertür zu verbarrikadieren und der sah, wie Polizisten mit gezogenen Waffen in die Schule stürmten. „Sie können einen Knopf drücken und wir wissen, dass etwas nicht in Ordnung ist, wirklich nicht in Ordnung, und dann versetzt es jeden in hohe Alarmbereitschaft.“

Schulen wollten zu Beginn des neuen Schuljahres zeigen, dass sie handeln

Mehrere US-Bundesstaaten schreiben jetzt diese Knöpfe vor oder werben für sie, und eine wachsende Zahl von Bezirken blättern Zehntausende Dollar pro Schule dafür hin – Teil verbreiteter eiliger Bemühungen, die Sicherheit an Schulen zu erhöhen und eine nächste Tragödie zu verhindern. Die Großeinkäufe schließen neben Alarmsystemen Metalldetektoren, Sicherheitskameras, Fahrzeugbarrieren, durchsichtige Rucksäcke, kugelsicheres Glas und Türverriegelungssysteme ein.

Kritiker sprechen von Aktionismus angesichts besorgter Eltern. Die Schulen wollten zu Beginn des neuen Schuljahres zeigen, dass sie handelten. Und vielleicht werde dabei der Schwerpunkt auf falsche Dinge gelegt, geben sie zu bedenken. Es sei ein „Sicherheitstheater“, formuliert es etwa Ken Trump, Chef der auf Schulsicherheit spezialisierten Firma National School Safety and Security Services. Nach seiner Meinung sollten sich Schulen darauf konzentrieren, dass Lehrer grundlegende Schutzregeln einhielten, zum Beispiel dafür sorgten, dass Türen nicht offen gelassen werden.

Tatsächlich hat das Blutbad in Uvalde, bei dem 19 Kinder und zwei Lehrerinnen getötet wurden, die Schwächen von Alarmsystemen vor Augen geführt. Die Robb-Grundschule verfügte eine Alarm-App, und als ein Angreifer sich dem Gebäude näherte, sandte ein Schulangestellter eine Warnung. Aber nicht alle Lehrer erhielten sie – aufgrund von schwachem Wi-Fi oder weil ihre Handys ausgeschaltet oder in Schubladen verstaut waren, wie aus einem Untersuchungsbericht des texanischen Parlaments hervorgeht.

Und jene, die sie erhielten, hätten sie vielleicht nicht ernst genommen, hieß es weiter. Die Schule sendet häufig Alarme im Zusammenhang mit Autoverfolgungsjagden in der Region im Zuge von Grenzschutzmaßnahmen aus.

Kann CrisisAlert in Notsituationen helfen?

„Leute wollen Dinge, die sichtbar sind, die man anfassen kann“, sagt Ken Trump. „Es ist viel schwerer, den Wert zu betonen, den es hat, deine Mitarbeiter zu trainieren. Das ist nichts zum Anfassen. Das sind Dinge, die weniger sichtbar oder unsichtbar sind. Aber sie sind am effektivsten.“

Die Entscheidung, im Vorstadtgebiet von Kansas City umgerechnet gut 2,1 Millionen Euro im Zeitraum von fünf Jahren für ein Alarmsystem auszugeben, sei keine „reflexartige Reaktion“, betont indes Brent Kiger, der im dortigen Schulbezirk für Sicherheitsmaßnahmen zuständig ist. Er hatte das System namens CrisisAlert nach eigenen Angaben schon vor den Schüssen in der von Lees Kindern besuchten High School im März ins Auge gefasst, und nach dem Vorfall sei man zur Erkenntnis gelangt, dass es in der Notsituation hätte helfen können, sagt Kiger.

Das System – ein anderes als jenes, auf das sich Uvalde stützte – erlaubt es Schulpersonal, einen Lockdown auszulösen, der dann unter anderem mit Blitzleuchten und einer aufgezeichneten Ansage per Sprechanlage bekannt gemacht wird. Lehrer können den Alarm auslösen, indem sie mindestens acht Mal auf einen tragbaren Knopf drücken. Geht es darum, Hilfe in einem medizinischen Notfall oder zum Auflösen von Handgreiflichkeiten zwischen Schülern herbeizurufen, reicht ein dreimaliger Knopfdruck.

Schon vor der Bluttat von Uvalde war die Nachfrage nach CrisisAlert gestiegen, die Einkünfte aus neuen Verträgen wuchsen zwischen dem ersten Quartal 2021 und 2022 um 270 Prozent, wie der Hersteller Centegix sagt. Der Bundesstaat Arkansas hatte bereits 2015 die Ausstattung von mehr als 1000 Schulen mit einer Handy-App angekündigt, die Nutzer schnell mit der Notrufnummer verbindet.

Aber richtig in Fahrt kam die Sache nach dem Massaker 2018 an der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland in Florida. Lori Alhadeff, deren 14-jährige Tochter Alyssa zu den 17 Toten zählte, gründete die Gruppe Make Our Schools Safe (Macht unsere Schulen sicher) und warb für Panikknöpfe. Als Reaktion darauf verabschiedeten die staatlichen Kongresse in Florida und New Jersey „Alyssas Gesetz“, das Schulen vorschrieb, mit der Nutzung von Panik-Alarmsystem zu beginnen.

„Wenn wir es viel zu einfach für Leute machen, an Waffen zu kommen, ist es weiter ein Problem“

Im Laufe der Jahre unternahmen unter anderem Oklahoma, Nebraska, Texas, Arizona und Virginia ähnliche Schritte. Schulen in Las Vegas (Nevada) entschieden sich angesichts einer Welle von Gewalt dieses Jahr ebenfalls für die Einführung von Panikknöpfen. Laut Statistiken hat der Schulbezirk von August 2021 bis Ende Mai dieses Jahres 2377 Fälle von Tätlichkeiten auf Schulgelände verzeichnet.

Cindy Holscher ist eine Senatorin im Staat Kansas, ihr Wahlkreis schließt einen Teil des Schulbezirks Olathe ein, und ihr Sohn kannte den Schützen beim Vorfall im März. Die Demokratin unterstützt die Einführung von Panikknöpfen, sagt aber, dass Schulen allein das Problem der so häufigen Massentötungen nicht lösen könnten. „Wenn wir es viel zu einfach für Leute machen, an Waffen zu kommen, ist es weiter ein Problem“, sagt sie. „Wir müssen an einem gewissen Punkt zum Kern der Sache gelangen.“

 

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